1 Einleitung
RegierungsvertreterInnen aus der ganzen Welt verpflichteten sich 1990 zur Anerkennung der UN-Konvention über die Rechte des Kindes, welche weltweit wesentliche Standards zum Schutz der Kinder feststellt, basierend auf den drei Säulen: Schutz, Förderung und Beteiligung.
In einer Demokratie ist Beteiligung und Mitbestimmung aller Gesellschaftsmitglieder ein konstitutives Recht. Partizipation ist demgemäß die aktive Praxis von Demokratie.
Partizipation aller Gesellschaftsmitglieder bedeutet natürlich, dass auch Kinder und Jugendliche in allen sie betreffenden Feldern und Fragen ein Recht zur Teilhabe am demokratischen Prozess haben. Dazu zählt im Alltag unter anderem die freie, gleichberechtigte Teilhabe an Diskussions- und Entscheidungsprozessen.
Im SGB VIII findet sich dieses Recht zur Mitbestimmung unter anderem im §5 (Wunsch- und Wahlrecht), §8 (Beteiligung von Kindern und Jugendlichen) und §36 (Mitwirkung im Hilfeplan) wieder. Der 2012 durch den Erlass des Bundeskinderschutzgesetzes geänderte §45 SGB VIII setzt ausdrücklich fest, dass Kinder und Jugendliche in Jugendhilfe-einrichtungen geeignete Verfahren der Beteiligung und Möglichkeiten der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten vorfinden müssen.
2 Pädagogisches Selbstverständnis
Gemeinsam auf dem Weg zur Eigenverantwortung verstehen wir jugendliche Partizipation als einen konstitutiven Bestandteil unseres pädagogischen Denkens und Handelns.
Nicht zuletzt liegt es in der Verantwortung und Handlungskompetenz der pädagogischen Fachkräfte, den Beteiligungsprozess anzuleiten, zu begleiten und zu fördern und Kinder sowie Jugendliche immer wieder zu mehr Partizipation im Alltag anzuhalten.
Unser Ziel ist es dabei, dass die Kinder und Jugendlichen ein Optimum an Beteiligungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten in ihrer Lebenswelt vorfinden.
Des Weiteren ist für uns als anerkannten Träger der Jugendhilfe und Dienstleister in der modernen Sozialwirtschaft die gelungene Beteiligung unserer AdressatInnen bei der Ausgestaltung des gewählten Hilfeangebotes maßgebender Bestandteil der Qualität unserer Dienstleistung.
Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene sowie deren Angehörige sollen sich als Subjekte eines aktiv mitgestalteten Hilfeprozesses erfahren, welcher sich an ihren Bedürfnissen orientiert und so zu einem „gelingenderen Alltag“ beiträgt. Und nicht zuletzt steigert die individuelle Zufriedenheit mit der Hilfemaßnahme auch deren Aussicht auf Erfolg.
Letztlich verfolgt die Förderung der Partizipation in der Jugendhilfe das ihr immanente Ziel, Jugendliche dazu zu ermächtigen, verantwortungsbewusst Entscheidungen für ihr eigenes Leben treffen zu können. Aus pädagogischer Sicht verstehen wir daher die bewusste, regelgeleitete und doch als alltäglich verspürte Beteiligung unserer Kinder und Jugendlichen als Erfolg versprechende Methode auf ihrem Weg zur Mündigkeit.
Die Beteiligung unserer Kinder und Jugendlichen an allen sie betreffenden Themen fördert dabei ihre Persönlichkeitsentwicklung, die Entwicklung sozialer Fähigkeiten und des Verantwortungsgefühls. Es wird täglich erfahrbar, eigene Interessen wahrzunehmen, zu artikulieren und auszuhandeln. In demokratischen Entscheidungsprozessen wird gelernt, die eigene Meinung zu vertreten, sich durchsetzen oder auch zu unterliegen.
Jugendliche Partizipation soll dabei so gestaltet sein, dass sie ein Mehr an Mit- und Selbstbestimmung herausfordert, und gleichzeitig die noch mangelnden Kompetenzen, Rückschritte und Fehler der jungen Menschen als Aspekte des demokratischen Lernprozesses versteht. Die Wirkungen des eigenen Handelns sollen dabei zeitnah erfahrbar sein.
Wir fördern die Mündigkeit der Jugendlichen im geschützten Rahmen unserer Wohngruppen, indem wir den jungen Menschen Gelegenheit bieten, selbstbestimmt zu handeln und mit zu entscheiden.
Der pädagogische Alltag in unseren Wohngruppen wird daher nicht ausschließlich für die Kinder und Jugendlichen gestaltet werden, sondern MIT ihnen.
Wir verstehen die Partizipation von Kindern und Jugendlichen dabei nicht als ein feststehendes Moment, sondern vielmehr als einen kontinuierlichen Lernprozess aller Beteiligten, in welchem fortwährend überprüft werden muss, wie und wo entwicklungsadäquate Beteiligung möglich ist.
3 Strukturelle Verankerung der Partizipationsrechte unserer Kinder und Jugendlichen
Wenn Partizipation von Kindern und Jugendlichen gelingen soll, muss diese ernst genommen werden, vor allem von den Erwachsenen, die die Kinder im Alltag umgeben.
Die Partizipationsrechte unserer Kinder und Jugendlichen sind daher in den Konzepten der einzelnen Wohngruppen strukturell verankert.
Sobald ein Kind oder Jugendlicher in ein Hilfeangebot des Verbunds eintritt, werden ihm seine Partizipationsrechte erläutert und die konkreten Wege aufgezeigt, wo und wie Beteiligung in der Wohngruppe möglich ist.
So individuell wie unsere Kinder und Jugendlichen, so facettenreich sind auch unsere Angebote und somit die möglichen Formen der Beteiligung. Wir streben dabei eine altersadäquate Alltagsbeteiligung ebenso an wie punktuelle Mitbestimmung bei wichtigen, alle betreffenden Entscheidungen. Je älter und „erwachsener“ der junge Mensch dabei ist, desto stärker muss seine Meinung Berücksichtigung finden.
Die jeweiligen Beteiligungsinstrumente müssen den Kindern und Jugendlichen dabei aus der individuellen Lebenswelt heraus bekannt und zugänglich sein.
Auch anderweitige Entscheidungsverfahren in der Wohngruppe sollen transparent und verständlich sein.
Im gemeinsam gelebten Alltag unserer Wohngruppen eröffnen sich für die Kinder und Jugendlichen zahlreiche Einflussmöglichkeiten. Kern all unserer Bemühungen ist dabei die demokratische Gestaltung des gemeinsamen Handelns.
Um allen Individuen das gleiche Recht auf Beteiligung zuzusichern, sind Gleichheit und Differenz zwischen den Individuen einer spezifischen Zielgruppe immer wieder neu zu erkennen und zu berücksichtigen. Differenzierungen finden sich beispielhaft unter anderem in den Kategorien: Alter, Geschlecht/Gender, ethnischer Hintergrund, soziale Herkunft, kommunikative Kompetenzen uvm.
Die jeweiligen Beteiligungsschancen und –weisen sollen diesbezüglich von den pädagogischen Fachkräften wahrgenommen und berücksichtigt, verschiedene Formen des „Sich-Äußerns“ sollen (an-)erkannt werden. Bestehende Nachteile sollen auf diesem Wege möglichst ausgeglichen werden.
Gleichzeitig besteht kein Zwang der Beteiligung. Sie erfolgt aus freiem Willen und auf freiwilliger Basis. Die Idee von Partizipation beinhaltet immer auch das Recht auf Verweigerung von Partizipation.
4 Beteiligungsinstrumente
Unsere Kinder und Jugendlichen werden an Entscheidungen der Gruppe alters- und entwicklungsgemäß beteiligt. Dies betrifft zum Beispiel das Aushandeln der Gruppenregeln, Art und Gestaltung gemeinsamer Aktivitäten uvm.
Geeignete Beteiligungsinstrumente können dabei ein Beschwerde- und Anregungsmanagement in Form regelmäßiger systematischer Wohngruppenbesprechungen sein, die strukturierte Einbindung in gruppenspezifische Entscheidungsprozesse wie auch partizipative Gremien (Kinder- & Jugendparlament) in Vertretung aller unserer Kinder und Jugendliche zu bestimmten thematischen Schwerpunkten.
Diese und zwei weitere angewandte Formen der Beteiligung sollen hier kurz vorgestellt werden:
4.1 Wohngruppenbesprechungen (WGB)/ Heimrat, Gruppenrat
In allen Wohngruppen werden regelmäßige (mind. 1x monatlich) Wohngruppenbesprechungen abgehalten. An den Besprechungen sollen möglichst alle Kinder, Jugendlichen und ErzieherInnen teilnehmen. Alle Themen, die den Kindern, Jugendlichen und ErzieherInnen wichtig sind, sowie wichtige Ankündigungen u.ä. finden dort einen Raum, werden angehört und gemeinsam besprochen.
Die Wohngruppe führt über angesprochene Themen und getroffene Entscheidungen Protokoll, so dass Entscheidungen und Themen nachgelesen werden können. Wie die Wohngruppe die Besprechung gestaltet und in welcher Form Protokoll geführt wird, ist der jeweiligen Wohngruppe überlassen.
4.2 Strukturierte Einbindung in gruppenspezifische Entscheidungsprozesse
Steht eine die gesamte Gruppe betreffende Entscheidung an, sind alle Kinder und Jugendlichen strukturiert in den Meinungsfindungsprozess einzubeziehen. Das heißt, die gesamte Gruppe berührende Entscheidungen werden nicht allein von den pädagogischen Fachkräften getroffen, sondern jedes Kind/jeder Jugendliche hat das Recht seine Meinung zu äußern und angehört zu werden. Bei Meinungsverschiedenheiten wird ein Konsens angestrebt.
4.3 Partizipative Gremien
Zu Themen, die alle Kinder und Jugendlichen unserer Wohngruppen betreffen
(z.B.: Gestaltung des gemeinsamen Sommerfestes), versammeln sich demokratisch gewählte Abgesandte aller Gruppen zu einer gemeinsamen Diskussion und Entscheidungsfindung. Diese wird von mindestens einer Pädagogischen Leitungskraft begleitet. Gefasste Beschlüsse werden protokolliert und allen ErzieherInnen und dem Leitungsteam vorgelegt. Weitere Entscheidungen der pädagogischen Fachkräfte erfolgen unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Kinder- und Jugend-Gremiums.
4.4 Beteiligung am Hilfeplangespräch
In Kooperation mit den zuständigen Fachkräften des Jugendamtes werden unsere Kinder und Jugendlichen altersgemäß in die Hilfeplanung einbezogen. Ihre Meinung und Wünsche werden erfragt und ihre Stellungnahme ist erwünscht.
Die Pädagogische LeiterIn trägt dafür Sorge, dass das Kind/der Jugendliche in ausreichendem Umfang beteiligt und angehört wird.
4.5 Beteiligung am Entwicklungsbericht
Die Inhalte der regelmäßigen Entwicklungsberichte werden mit dem Kind/Jugendlichen altersgemäß besprochen, bzw. der Bericht wird ihm zum Lesen vorgelegt. Das Kind/der Jugendliche hat das Recht, seine Meinung schriftlich im Entwicklungsbericht zu den vorliegenden Inhalten zu äußern. Ist es dem Kind/Jugendlichen nicht möglich, dies eigenständig zu tun, wird ihm die benötigte Unterstützung gewährt.
5 Beschwerdeverfahren
Die oben erläuterten Beteiligungsinstrumente der Wohngruppenbesprechungen und derBeteiligung an Hilfeplangesprächen und dem Entwicklungsbericht sollen auch dem Beschwerdemanagement dienen. Des Weiteren ist es den Wohngruppen freigestellt weitere Beschwerdeverfahren, wie beispielsweise einen Kummerkasten o.ä. einzuführen.
Zusätzlich stellt der KJHV zwei weitere Beschwerde-Instanzen zur Verfügung:
5.1 Pädagogische Leitung
Jede unserer Wohngruppen untersteht einer pädagogischen Leitungskraft. Bei Aufnahme in die Wohngruppe lernt das Kind/der Jugendliche auch die für seine Gruppe zuständige pädagogische Leitungskraft kennen und bekommt deren Kontaktdaten. In einem Gespräch unter vier Augen wird erläutert, dass die PädagogIn bei Fragen und Problemen, die nicht mit den GruppenErzieherInnen besprochen werden können oder wollen, zur Verfügung steht. Die Pädagogische Leitung sucht im Verlauf des Hilfeangebotes immer wieder den persönlichen Kontakt zum Kind/Jugendlichen und kann bei Problemen in der Wohngruppe als neutral empfundener Ansprechpartner fungieren.
5.2 Kooperation mit dem Kinderschutz-Zentrum Bremen
Heimweh, Auseinandersetzungen um Regeln, das Gefühl, nicht verstanden zu werden: in engen Betreuungsverhältnissen kann es - gleich wie professionell und erfahren die Fachkräfte sind - immer wieder zu Konflikten und Störungen zwischen den Kindern/Jugendlichen und ihren BetreuerInnen kommen. Gerade für unsere jungen KlientInnen kann hieraus ein Gefühl der Machtlosigkeit und des Ausgeliefertseins entstehen. Den ErzieherInnen oder der Pädagogischen Leitung will man sich nicht öffnen, den Eltern kann man sich nicht öffnen, das Jugendamt ist weit. Um diesen Kreislauf bei Bedarf frühzeitig durchbrechen zu können, haben wir gemeinsam mit dem Kinderschutzzentrum Kiel ein „Sorgentelefon“ eingerichtet.
Bei Aufnahme werden die Kinder und Jugendlichen über das Angebot persönlich und schriftlich informiert. Das Kinderschutzzentrum hält eine Mitarbeiterin und einen Mitarbeiter vor, an welche sich die Betreuten bei Bedarf telefonisch auch anonym wenden können. Die KollegIn des Kinderschutzzentrums sucht dann gemeinsam mit den Betroffenen nach Auswegen aus der problematischen Situation. Gegebenenfalls vermitteln sie auch im Gespräch zwischen Einrichtung und Kind/Jugendlichem. Das oberste Gebot dabei ist, dass nichts ohne die Einwilligung der Betroffenen geschieht.
Wir verstehen diese Kooperation als Unterstützung unserer Betreuungsarbeit und als einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung unserer Angebotsqualität.
6 Qualitätsmanagement
Als internes Qualitätsmanagement für diesen kontinuierlichen Entwicklungsprozess dienen unterschiedliche Formen der Evaluation der angewandten Instrumente und Methoden in den einzelnen Wohngruppen:
Die Pädagogische Leitung steht in regelmäßigem Austausch mit den ErzieherInnen ihrer Wohngruppen. Auch in diesem Rahmen findet ein thematischer Austausch bezüglich Form und Qualität der gruppeninternen Partizipationsangebote statt.
Regelmäßige Fortbildungsangebote, auch zum Thema jugendliche Partizipation, ermöglichen unseren pädagogischen MitarbeiterInnen ihre fachlichen Kenntnisse zu erweitern und sich in einem adäquaten Rahmen auszutauschen und weiterzubilden